Das Rechtsverständnis provinzieller Verleger

Gestern wurde ich Zeuge eines unwürdigen Schauspiels. Ein Mann protestierte durch die Aufschrift auf seinem weißen T-Shirt. Er ging vor den Räumen unserer lokalen Tageszeitung auf und ab und die Erregung war ihm deutlich anzumerken. Ich saß im Lokal gegenüber und beobachtete mit anderen Gästen gemeinsam diese traurige Gestalt. Wir machten uns einen Spaß und versuchten auf die Entfernung, die Worte auf seinem Shirt zu entziffern.

Plötzlich tauchte ein Mann wild gestikulierend auf. Was folgte, haben mir die anderen Beobachter berichtet, da ich einen Augenblick lang abgelenkt war.

Die bis dahin verbale Auseinandersetzung eskalierte. Der erzürnte Mann wurde gegen den Demonstranten tätlich und schubste, bzw. schlug ihn, je nach Berichterstatter. Es blieb jedoch zunächst folgenlos; der Mann wehrte sich nicht. Rasch kamen alle möglichen Mitarbeiter der Zeitung auf die Straße und der Demonstrant wurde aus unserem Sichtfeld verdrängt.

Dann tauchten zwei Polizisten auf und unterhielten sich sehr ernsthaft mit unserm Demonstranten, der seinen Platz vor der Tageszeitung wieder eingenommen hatte. Als meine Mitbeobachter durch mich erfuhren, dass der Mann, der handgreiflich geworden war, der Verleger der Zeitung war, wollten alle 3 spontan dem durch die Staatsmacht bedrohten Demonstranten beispringen und für ihn aussagen.

Später, als die Drei, nach ihrer Vernehmung durch die Polizisten, wieder im Lokal eintrafen, berichteten sie, dass der Demonstrant bei der Zeitung Hausverbot habe. Also hatte der Verleger erst einmal selbst für Ordnung sorgen wollen und dann die Polizei gerufen, um dieselbe durchzusetzen.

Der Mann sei eigenartig gewesen. Scheinbar war er aus dem Lehrerdienst entlassen worden, da er angeblich eine Amokgefahr darstellt. Und die Zeitung hatte wenig rücksichtsvoll über ihn und den Fall berichtet. Schließlich hatte vor einer Weile hatte der Verleger dann dem Mann, als er sich bei der Zeitung über die Berichterstattung beschweren wollte, ein Hausverbot erteilt, und, das ist nun der eigentliche Grund meines Artikels, er hatte ihm eine Bannmeile von 200 Metern rund um das Verlagsgebäude vorgeschrieben.

Genau das finde ich höchst fragwürdig. Wie kann man sich anmaßen, ein Hausverbot mit 200 Meter Bannmeile zu verhängen? Ist der Verleger ein Gericht, das einem Stalker eine solche Begrenzung seiner persönlichen Freiheiten auferlegen kann? Ich denke nicht. Aber es erzählt einiges darüber, was der Verleger glaubt zu sein und was er glaubt sich erlauben zu können.

Das nach dem Demonstranten Schlagen oder Schubsen, unerheblich was es letztlich war, geht in die gleiche Richtung: Er, der große Verleger fühlt sich gestört: Da wagt es jemand gegen ihn aufzumucken. Das kann gar nicht sein! Also erst mal ein Hausverbot mit Sicherheitsabstand. Wird der nicht eingehalten, dann geht man rigoros gegen solche Subjekte vor!

Die Polizei, die das Ganze aufnehmen musste, schickte den Mann, den ich kurze Zeit später als frustrierte und verwirrte Person kennengelernt habe, vom Gehweg vor dem Verlagsgebäude fort. Als wenn der Verleger wahrhaftig die Macht hätte, den Mann zu bannen.

Eine Provinz, in der Solches als normal angesehen werden muss, ist eine ziemlich arme Provinz. Mächtige die nach Gutsherrenart Willkür und Selbstgerechtigkeit zelebrieren, sprechen ein Armutszeugnis für die lokale Demokratie.

Nur meine drei Mitbeobachter, die bereit waren für den Mann, den sie nicht kannten, auszusagen, machen mir noch Hoffnung. Nicht alle tolerieren Selbstherrlichkeit und Willkür.

Ach ja, auf dem T-Shirt beklagte sich der Mann darüber, dass ihn das Oberschulamt in Rente geschickt hatte. Von der Zeitung und ihrem Verleger stand da nichts.